04.03.2018

Interview mit einem "Einzelfall" ("Amazonsklave")
Oder warum Paketdienste einen besch...eidenen Service leisten.

Das kennt inzwischen fast jeder in Deutschland. Man bestellt etwas bei einem Versandhändler und bekommt - obwohl zu Hause - (bestenfalls!) statt der Ware an der Haustür nur einen Zettel in den Briefkasten, dass man sich die Sendung 0815 an einer möglicht weit entfernten (mindestens am "Arsch der Welt" gelegenen) und möglichst kurz geöffneten Abholstelle abholen soll. Aber erst am nächsten Werktag.

Falls überhaupt. Das Problem betrifft (mehr oder weniger) alle Paketdienste.
Bild: Solche Apelle sind nur dann nützlich falls der Paketbote überhaupt deutsch kann. Das sind aber inzwischen die realen Einzelfälle.

Hintergrund ist ein "System von Einzelfällen".  Fast alle Paketdienste haben nämlich die Abholung (teils auch den Transport zwischen den Depots, teils auch die Depots) und die Zustellung an "Dienstleister", also Subunternehmen abgegeben. Eben so haben faktisch alle Paketdienste die grandiose Idee, dass sich die Kosten für die Zustellung Jahr für Jahr um 5% (oder mehr!) senken lassen. Und zwar ohne Rücksicht auf steigende Kosten für Sprit, Fahrzeuge und sonstige Abgaben. Das ist die Zielvorgabe für die im Unternehmen verantwortlichen, das haben die Geschäftsführer nämlich den Aktionären versprochen, damit sie selbst Millionenboni kassieren. Die Erfolgsmeldungen klingen dann so:
Das operative Ergebnis des Unternehmensbereichs PeP stieg im dritten Quartal im Vorjahresvergleich um 5,1 Prozent auf 308 Millionen Euro. Dazu haben vor allem das Wachstum im deutschen Paketgeschäft, die stabilen Post-Umsätze und diszipliniertes Kostenmanagement beigetragen, während weitere Investitionen in das internationale Paketnetz und in das eCommerce-Geschäft den Ergebnisanstieg gedämpft haben.
Um das zu erreichen will man von den dazu nötigen Schweinereien natürlich nichts wissen - und formal nicht daran teilnehmen.

Aber davon profitieren.

Die Folge davon ist, dass diese Subunternehmen reihenweise pleite gehen, woraus sich im Gebrauchtfahrzeugmarkt ein ganz nettes Überangebot an sehr billigen, leider aber auch multipel kaputten Transportfahrzeugen ergibt. Allerdings wollen auch die gegängelten Subunternehmer nicht pleite gehen. Die sparen bis dahin an der einzigen Stelle, wo diese effektiv sparen können: den Löhnen. Und dabei hilft die informelle Information, wer denn die ganz billigen Fahrer liefern kann.

Die bittere Realität sind "Amazonsklaven", also unterbezahlte Fahrer aus den billigsten und ärmsten Ecken Osteuropas, die von Organisationen  "vermittelt" werden, die man durchaus auch als "Menschenhändlerring" bezeichnen kann. Manche dieser Firmen beheben den "Fachkräftemangel" in dem diese sowohl "Fahrer" als auch "Nutten" vermitteln. Mir sind mehrere Fälle bekannt, in denen solche Paketdienst-Subunternehmer eben solche Arbeitskräfte als "Sub-Subunternehmer" beschäftigen. Die haben eine Adresse in einer deutschen Großstadt - und zwar alle die selbe. Die arbeiten 15 Stunden für 50 Euro am Tag (zz. Umsatzsteuer). Die schlafen teilweise gleich im Auto(!) auf dem Hof des Paketdienst-Subunternehmers (gesehen in Süddeutschland) oder  mindestens zu Dritt in einem Wohnklo in der Scheune oder im Keller des "Arbeitgebers". Immerhin reicht der Platz für ein eigenes Bett und eine Kochplatte. Ich habe aber auch gehört, dass manche mangels Strom einen Campingkocher benutzen...

"Amazonsklave"

Den Begriff "Amazonsklave" habe ich vor ca. 2 Jahren in Berlin erstmal für "Paketdienstfahrer" gehört. Er klingt abwertend, fürchterlich ungerecht dem Fahrer gegenüber - ist aber in vielen Punkten (Bezahlung, Arbeitsbedingung, Vermittlung durch Menschenhändler) treffend. Amazon ist der größte Kunde der Paketdienste und "optimiert" ("drückt") - offenbar auch selbst rücksichtslos - seine Kosten. Deshalb wundert es mich nicht, dass sich der Begriff des "Amazonsklave" mehr und mehr durchsetzt. Wenn der "Marktführer" das nicht will, dann muss er selbst handeln und die Bedingungen der (externen) Mitarbeiter bei seinen Dienstleistern kontrollieren. Das liegt eigentlich auch (Telkos und andere Webshopbetreiber sind hier eben so angesprochen) in seinem Interesse, denn wie man sieht nimmt hier der Ruf von Amazon Schaden.

"Toller Service" durch ausschließlich fremdsprachige Mitarbeiter!

Denn richtig toll wird es, wenn diese Fahrer durchaus komplizierte Tätigkeiten ausführen sollen. Manche Versender, die via Paketdienst in Ausland versenden, halten schon "Dolmetscher" bereit: Italienische Muttersprachler für Fahrern aus Rumänien; russisch sprechende für Fahrer aus Moldawien oder Weißrussland. Die Paketdienste machen das angeblich auch und erwarten von Disponenten ein ganzes Paket Fremdsprachen:



Smartphones mit Vertrag kommen als "Identsendungen". Empfänger haben ihren Spaß daran, den Fahrern irgendwelche seltsamen Dokumente als "Personalausweis" vorzulegen und auf den 20 bis 40 Seiten langen Dokumenten mit "Was soll der Scheiß" zu unterschreiben. Also falls der Fahrer überhaupt die Sendung zustellt (und nicht nur "nicht angetroffen, benachrichtigt" scannt. Wovon man bei modernen Paketdiensten immerhin per Email schnell erfährt. War der Fahrer sogar da und hat den Zettel mit der Benachrichtigung eingeworfen, dann kann man oft sogar die Rußfahne noch riechen, wenn man gleich vor die Tür tritt. Denn wenn die Fahrer (die sind nicht so dumm wie diese mangels Sprachkenntnis wirken) etwas mitbekommen, dann ist es das: Es lohnt sich, die Zustellung gar nicht zu versuchen und die Sendung gleich bei einer Abholstelle "abzukippen". Mit 30 bis 60% der Pakete geschieht genau das. Nur so schaffen die Fahrer ihre Touren und aus der beschränkten Sicht der Auftraggeber ist die Leistung durch den Scan des Zustellversuchs erbracht.

Folge eines ruinösen Wettbewerbs? Wollen das die Kunden?

Das wird zwar behauptet, ist aber eine Lüge! Die Wahrheit ist nämlich, dass die Paketdienste stolze und steigende Gewinne in der Höhe von mehreren Milliarden Euro einfahren. Derartige Milliardengewinne zu machen ist aber nicht "ruinös" - Florian Gerster, der Vorsitzende des Bundesverbands der Paket- und Expresslogistik, erzählt also "Geschichten vom Pferde" wenn er behauptet, die Webshop-Kunden würden die Löhne drücken. Hier geht es in Wahrheit um Gewinnmaximierung. Und die wird von den Paketdienst-Konzernen auf Kosten der Fahrer extrem rücksichtslos betrieben. Denn auch wenn die Geschäftsleitungen der Paketdienste von den Zuständen nichts wissen wollen und sehr darauf achten, formal nichts davon zu wissen -  tatsächlich wissen die das sehr genau. Die können rechnen und wissen also auch sehr genau, dass die von denen gezahlten Preise für die ordnungsgemäße, zwischen Versender und Paketdienst vereinbarte Zustellung gar nicht ausreichen können, jedenfalls nicht wenn der Fahrer den Mindestlohn bekommt!

"Alternative Kündigung"
+++ 15.24 Uhr: Lieferanten setzen sich mit Pakten wohl ins Ausland ab 
Mit zwei Transportfahrzeugen voller Pakete haben sich zwei 19-Jährige offenbar nach Osteuropa abgesetzt. Wie die Polizei mitteilte, hatten die beiden Männer für ein Subunternehmen eines Paketdienstes in Sigmaringen gearbeitet. Am Mittwoch waren sie von ihrer Tagesroute nicht zurückgekehrt, ihre Pakete hatten sie nicht ausgeliefert. Die Männer waren auf ihren Handys nicht erreichbar, weswegen das Unternehmen Anzeige erstattete. Die 19-Jährigen stammen aus Moldau und Rumänien. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie sich nach Osteuropa abgesetzt haben. Die Höhe des Schadens ist nicht bekannt.
So endet also manche diese "Erfolgsstorys". Ich wette, solche Verluste sind nicht nur durch die üble und klar rechtswidrige Ausbeutung provoziert sondern auch knallhart kalkuliert - die Anzeige ist also, genau genommen, ein Missbrauch des Staates.


Virtuelles Interview mit einem "Einzelfall" (Mischa)

Hallo Mischa. Sag mal: Bist Du einfach mit den Paketen abgehauen?
Hab ich Chef gesagt, wenn nicht bezahlt ich weg mit Auto.
Wie "nicht bezahlt"?
Chef zahlt nicht an mich sondern an anderen Chef in Berlin, Chef in Berlin sagt nicht bezahlt, also ich nicht kriegen.
Du bist nicht direkt angestellt?
Bin ich selber Firma, die ist in Berlin. Dort macht große Chef  Rechnung, Steuer,  Alles. Auch für Kollegen.
Aha. Der kümmert sich also für Dich um Steuern, Amtswege, Krankenkasse und so weiter?
Krankenkasse in Moldawien. Ich in Deutschland nicht Arzt oder Krankenhaus. Chef macht alles, hat mir gesagt, gehst Du nach Deutscheland, machst Du in eine Jahr 10000 Euro und dann zu Hause Kneipe auf.
Und wie läuft das?
Habe ich bei Kollege mitbekommen, Chef in Berlin nimmt nur Geld. Guckst Du hier Brief vom Finanzamt und von Polizei. Andere Fahrer hat mir übersetzt: zehntausend Steuer nicht bezahlt, Polizei soll mich knacken.
Und Dein Kollege?
Der hat auch so Brief. Andere Kollege ist mit Bus nach Hause. Haben erwischt. Ist gefickt jetzt!
Du hast gesagt, Du hast kein Geld bekommen - wieso musst Du dann Steuer zahlen?
Ich arbeiten 15 Stunden jeden Tag, keine Geld! Nicht wissen warum mich ficken!
15 Stunden?
Früh um funf in Depot. Einladen und Scannen. Dann fahren. Um 18 Uhr bringen Rest in Paketshops. Um 19 Uhr zurück. Bis 20 Uhr anstehen und machen Formalität.
Wie lange hast Du kein Geld bekommen und wie viel steht Dir zu?
Habe erste 6 Monate 800 Euro bekommen, 300 davon für Bett mit zwei Kollegen in Keller von Chef abzug. Dann 3 Monate nichts. Auch Kollege nicht, Chef in Berlin sagt nicht bezahlt, Chef hier sagt hat bezahlt. Ich nicht wissen, ich wisse nur: ich kein Geld!
Das klingt ziemlich kriminell. Für 15 Stunden am Tag nur 800 Euro. Hast Du mal nachgefragt?
Kollege hat bei Chef gesagt. Dann kam Chef aus Berlin mit zwei Bären. Hat verprügelt und nach Hause geschickt.
Wie willst Du jetzt nach Hause kommen?
Tank ist voll. Komme ich 900 Kilometer. Ist halbe Weg. Ich verkaufen eine oder zwei iPhone oder Samsung in Polen für Diesel und Schlafen. Dann weiter.
Wie viele Pakete sind eigentlich auf Deinem Auto?
180.
Hast Du Angst erwischt zu werden?
So Scheiße Deutscheland. Gehe ich nicht in Knast für Betrüger. Ich in Ukraine jetzt!
Na dann: Gute Reise!

Letzter Hinweis:

Vom eigenen Personal erwarten deutsche Paketdienste "aus versicherungsrechtlichen Gründen" das diese regelmäßig "saubere" Führungszeugnisse einreichen. Für Subunternehmer, insbesondere aber die bestehende, sehr informelle Zusammenarbeit mit den Menschenhändlern, gilt das "eher nicht".

Vielleicht interessiert das ja die Frachtversicherungen...

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